Es gibt die Praktiker (passiv) und die Theoretiker (aktiv). Die Praktiker gucken die WM live, die Theoretiker denken sie. Mischformen sind möglich. Bis auf Netzer, in Ansätzen Klopp und ein ganz klein wenig Effenberg sind die TV-Analytiker intellektuelle Totalschäden. Also mal wieder Print. Who wants yesterday papers? Icke-micke.
WM-Print-Top 3:
1. FAZ Beste Kolumne: “WM-Geschichte in 99 Kapiteln”. Basiswissen aus der WM-Historie über “Müllerlehrlinge” und “Dusch- und andere Unfälle”.
2. Junge Welt Beste Spiel-Berichterstattung, hier wird Fussball noch in der Ich-Form gelebt wie im aktuellen Coca-Cola-Spruch “It’s your Heimspiel. Make it real”.
“Kurz vor Schluß taucht auch noch ein Mann namens “Fred” auf und schießt das 2:0. Wir haben von Fred noch nie gehört, aber das war immer so bei Brasilien. In vier Jahren wird Fred der neue Robinho sein, wenn Robinho Ronaldo in der Rolle des müden Klassikers abgelöst hat. Und irgendwer wird dann eben der neue Fred.” (20.6., Jochen Schmidt über Brasilien-Australien)
“Ich stecke durch Niesen noch ein paar Tresengäste mit meinem unheilbaren Fußballfieber an, trinke das Bier auf Ex und mache mich auf den Weg ins Bordell, ich meine natürlich zu mir, nach Hause, in mein einsames, kaltes Krankenlager.” (20.6., Ahne über Südkorea-Frankreich).
“Aber die optischen Funktionen waren bereits ausgereift, wie ich zwei Stunden später in den Sony-Studios feststellen konnte: Kaum hatte ich den Blickschutz aus Glasfieber und virtuellem Chrom übergestülpt, sah ich alles mit den Augen von Torwart Kawaguchi. Ich fixiere den Ball auf dem Elfmeterpunkt in der 22. Minute, suche mein Wa, meine meditative Mitte tauche nach links in die Ecke, fauste die Kugel heraus. Ein paar Minuten später sehe ich einen blonden Riesen im japanischen Fanblock, zoome heran: tatsächlich, Kahn.” (20.6., Jürgen Elsässer über Kroatien-Japan)
3. Bild Bester Klassiker. Noch etwas unter Form. “Salto-Klose: ich habe zwei Metallplatten im Kopf”, “Tschechien kommt weiter…, Italien kommt weiter…, USA kommen weiter…Ghana kommt weiter” (22.6.). Pädagogisch erschreckend wertvoll. Das Geschreibe von “Schlappwehr” und “Alptraum-Abwehr” machte aus Klinsmanns Offensivkonzepten wieder das alte Herz-aus-Beton-Spiel, aber mit flottem Mitteldfeld.
Absteiger
1. 11 Freunde Tägliche Beilage im Tagesspiegel. Übertrainiert und unterformidabel. Ratlosigkeit auf der Bank. “Argentinien: Ein himmlisches Versprechen”, “Von Wölfen und Schafen - Dieter Hoeneß über Führungsqualitäten” (21.6.)
2. taz Größte Enttäuschung der WM. Für täglich acht Seiten Beilage den Boulevardteil “taz zwei” rausgeworfen und dann am Mittelkreis verlegen an sich rumgemacht. Ohne den langjährigen menottiartigen Trainer Matti Lieske (mittlerweile Berliner Zeitung) die langweiligsten Spielberichte seit taz-Gedenken (Markus Völker, Andreas Rüttenauer, Ronny Blaschke). “Mexiko sagt: Danke Portugal”, “Du bist Schweden!” und Gregor Gysi lockert und läutert sich deutschnational: “Hier entsteht im Verhältnis zur eigenen Nation zum ersten mal etwas Normales, Unverkrampftes, Souveränes. Das ist ein richtiges Erlebnis für mich. Das beruhigt mich.” (22.6.)