taz: Herr Binger, wer versprüht heute typischen Berliner Witz?
Lothar Binger: Kurt Krömer.
Der hysterische Neuköllner Kleinbürger, die Bühnenfigur eines jungen Komödianten?
Diese Figur verkörpert den Berliner Witz perfekt: Krömer hat ein geringes Selbstwertgefühl, ständig schwankt er zwischen Resignation und Größenwahn. In einem Moment erzählt er, wie er in der Schule gedemütigt wurde und sich nur mit Worten wehren konnte. Im nächsten beschimpft er sein Publikum. Der Witz hat ihm geholfen, sich zu behaupten. Kurt Krömer, das ist der psychisch entblößte Mensch.
Wie reagieren Menschen, wenn sie hören, dass Sie den Berliner Witz erforschen? Die wollen doch sicher Scherze à la Krömer hören.
Das passiert oft. Wenn ich ihnen sage: “Ich mache keine Witze, ich analysiere die Bedingungen, unter denen der typisch berlinische Witz entstanden ist”, dann herrscht meist eine Weile Schweigen. Witz und erzählter Witz - das sind zwei unterschiedliche Dinge. Danach nenne ich aber meist ein Beispiel.
Und zwar?
Typisch für den Berliner Witz könnte folgende Szene sein: Ein Mann betritt ein Zugabteil und sagt: “Wenn ick ei’m aus Versehen auf die Hühneraugen trete, hau’ ick ihm direkt eens uff de Fresse. Damit er mir nich’ krummkommt.”
(Aus der “taz”, Berliner Ausgabe, von heute)
Über Kurt Krömer schieb Julia Schön am 19.12.2005 in der “jungen Welt”:
Es gibt auch »Schantre«, einen »indischen Schnaps« for free, aber nur für Kurt Krömer in dessen gleichnamiger Show, eingeschenkt vom Transvestiten Edith Schröder - »the queen from the Hermann-Place«. Krömer ist aufgewachsen in Neukölln, die »Kurt Krömer Show« läuft immer wieder sonntags im RBB und ist dort fast die einzige Sendung, die man sich bei vollem Bewußtsein, also noch vor der Happy Hour im Bechereck, antun kann. Der wie von Mutti angezogen wirkende Krömer serviert »Neuet aus Neukölln«, führt Pseudointerviews mit Prominenten, sagt immer die Moderationsbausteine »so« und »und nun«. Der von ihm entworfene verbiestert-charmante Showcharakter tendiert zum Amoklauf, etwa so wie Michael Douglas in »Falling Down«.
Ist der Gast in der aktuellen »Kurt Krömer Show« einer Art »Klimbim«-Familie terroristisch ausgeliefert, mußte er früher vorzugsweise körperwarmes Discounterbier ganz allein mit Kurt Krömer schlürfen. Dem fällt zu seinen Gästen nie etwas ein, denen daraufhin gleich gar nichts mehr einfällt. Anders als bei »Zimmer frei« haben sie auch keine Chance, sondern höchstens zweieinhalb Minuten. Gregor Gysi wird von Krömer gefragt: »Woll’n Sie was trinken, n’ Wasser oder so?« Er preßt ein »Ja, klar« hervor und wird mit einem »Bitte sagt man!« angeraunzt. Hellmuth Karasek schafft es gerade so, seine These loswerden, er wäre »in erster Linie ein Mensch«.